Berliner Musikschulforum

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taz 19.III.12 Von allen guten Geistern verlassen...?




taz 19.III.12 Von allen guten Geistern verlassen...?

Beitragvon Karin » Di 20. Mär 2012, 00:42

Quelle: http://www.taz.de/Berliner-Musikschulen/!89863/
taz-Artikel vom: 18.03.2012
Musikschullehrer fühlen sich zu frei - von Alke Wierth

taz-online Leserkommentar - 19.03.2012 17:08 Uhr
von Stefan Gretsch - Vorsitzender der ver.di-Fachgruppe Musik

Von allen guten Geistern verlassen...??

Die neuen Ausführungsvorschriften sind nichts anderes, als eine radikale Kürzung - in finanzieller und struktureller Hinsicht.

Die Deutsche Rentenversicherung hat mit Bescheid vom 11.3.2011 an den Berliner Musikschulen Scheinselbständigkeit der arbeitnehmerähnlichen Honorarkräfte festgestellt. Sie nennt eine Reihe von Tatbeständen, die Scheinselbständigkeit begründen könnten, fordert das Land Berlin jedoch lediglich auf, "zumindest das Rundschreiben zur Zahlung des Krankengeldes aufzuheben". Gemeint ist die Honorarfortzahlung bis zu 6 Wochen in Höhe von 80 Prozent des Honorars ab dem vierten Krankheitstag. Diese Regelung besteht seit 1983, erneuert durch einen Senatsbeschluss im Jahre 2008. Sie schützt seit fast 30 Jahren die schlecht verdienenden arbeitnehmerähnlichen Musikschullehrkräfte wenigstens ein Stück weit vor der krankheitsbedingten Katastrophe.

In der neuen Ausführungsvorschrift taucht sie aber aufgrund der Proteste, und lediglich unter einem anderen Namen, prompt wieder auf - mit Einverständnis der Rentenkasse! War's also doch nicht so schlimm mit der Fortzahlung, wie im Bescheid ausdrücklich hervorgehoben? Wohl kaum, denn sonst müsste die Rentenkasse, die auch in den vergangenen Jahren die Musikschulen fleißig überprüft hatte, eingestehen, seit 30 Jahren illegale Beschäftigungsverhältnisse geduldet zu haben.

Auf der anderen Seite greift der Bildungssenat unter Berufung auf eben diesen Bescheid tief in die bestehende Musikschulstruktur ein. Er ändert Dinge, die von der Rentenkasse gar nicht gerügt wurden. So hat die Rentenversicherung, entgegen der Darstellung durch Staatssekretär Rackles, an keiner Stelle ausdrücklich eine Änderung der Zahlungsweise oder gar Einzelstundenabrechnung gefordert.
Diese Änderung ist willkürlich und führt zu erheblichen Einkommensverlusten bei den Lehrkräften sowie zum GAU der Musikschulverwaltungen: Zigtausend Einzelstunden müssen auf Richtigkeit geprüft und abgerechnet werden. Welch eine Bürokratie für Schule und Lehrkräfte!
Zudem gehen den Lehrkräften dadruch rund 30 Unterrichtsstunden pro Jahr durch Feiertage verloren, die bisher eingerechnet waren. Das entspricht einer kompletten Unterrichtswoche, die zusätzlich erteilt werden müsste, um den finanziellen Verlust auszugleichen. Das ist jedoch allein schon wegen der angestrengten Schul- und Terminsituation der Schüler in der Regel gar nicht machbar.

Hinzu kommt der Verlust von Stunden, die Schüler nicht wahrgenommen haben, z.B. weil sie just am Unterrichtstag zu einem Kindergeburtstag eingeladen sind. Welcher Klempner wird wohl auf entstandene Kosten verzichten, wenn er vergeblich vor der Tür steht, weil der Auftraggeber zu einer Geburtstagfeier unterwegs ist?

Zwar sollen die Honorare mit Wirkung zum August 2013 (warum so spät?) um 7,3 Prozent erhöht werden, aber das mindert nur geringfügig den Verlust: 660 Euro pro Jahr allein durch die Einzelstundenberechnung an sich, zuzüglich der Stundenausfälle. Da kommen schnell 1.000 Euro und mehr zusammen! Gar nicht zu reden von den bereits erlittenen Realeinkommensverlusten der letzten zehn Jahre!

Die 2000 Berliner Musikschullehrer/innen leben mit durchschnittlich 1.200 bis 1.400 Euro Brutto im Monat überwiegend an der Armutsgrenze, in sehr vielen Fällen auch schon darunter. Auch Teilzeitangestellte sind längst davon betroffen! Anders als in allen anderen Bundesländern müssen die Berliner Musikschulen seit Jahrzehnten mit dem Mangel an festgestellten Vollzeitlehrern irgendwie klar kommen. Ohne die vielen unbezahlten Stunden jedoch, die die Honorarkräfte aus Liebe zum Beruf, den Schüler/innen und nicht zuletzt "ihrer" Musikschule über den Unterricht hinaus zusätzlich von ihrer Freizeit opfern, wären die Berliner Musikschulen schon längst aus dem Stadtbild verschwunden.

Anstatt jedoch endlich diese hochschulqualifizierten, engagierten Lehrkräfte angemessen zu entlohnen, werden sie und die Musikschule selbst erneut in den Würgegriff genommen, schlimmer als je zuvor. Das ist nicht mehr nachvollziehbar und -mit Verlaub- in höchstem Maße unanständig!
Karin
 
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Registriert: Sa 17. Mär 2012, 19:27

von Anzeige » Di 20. Mär 2012, 00:42

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