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Musikschulbeirat: Stellungnahme Enwurf AV Honorare (10/11)

Mo 19. Mär 2012, 00:46

Musikschulbeirat bei der Senatsverwaltung 19.10.2011
für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Die Vorsitzende
Annette Indetzki

Die folgende Stellungnahme wurde auf der Sondersitzung des Musikschulbeirates am
19.10.2011 einstimmig beschlossen:

Stellungnahme des Musikschulbeirats
zum Entwurf der Ausführungsvorschriften Honorare Stand 09/2011


Der Bildungs- und Kulturauftrag der kommunalen Musikschulen wird aus den
gesellschaftlichen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen heraus durch Staat und
Kommunen bestimmt.
Die Berliner Musikschulen sind im Berliner Schulgesetz verankert, welches den
Bildungsauftrag im Paragrafen 124 wie folgt formuliert: „… Musikschulen sind Bildungs- und
Kultureinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene; sie sichern den
chancengleichen Zugang zum Musikunterricht und zur Musikkultur für jede Bürgerin und
jeden Bürger. Die Musikschulen nehmen Aufgaben der außerschulischen Musikerziehung,
der musikalischen Bildung und Kulturarbeit sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung wahr,
suchen und fördern Begabungen und ermöglichen vielfältige Zugänge zur musikalischen
Betätigung. Sie können eine studienvorbereitende Ausbildung anbieten…Musikschulen
sichern im praktischen und theoretischen Einzel-, Gruppen- und Klassenunterricht die
musikalische Grundversorgung durch instrumentale und vokale Angebote und das
Musizieren in Ensembles ... Musikschulen halten ein kontinuierliches Unterrichtsangebot
…vor…Zur Sicherung der Qualität ihres Bildungsangebots sind die Musikschulen
verpflichtet, geeignete Verfahren der Qualitätssicherung einschließlich regelmäßiger
Selbstevaluationen durchzuführen und die ständige Fortbildung der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sicherzustellen…Der Unterricht wird grundsätzlich von Lehrkräften mit
musikpädagogischer Befähigung…erteilt, die einen Hochschulabschluss oder eine
entsprechende Ausbildung mit gleichwertigen Fertigkeiten und Erfahrungen nachweisen
können…Die Musikschulen kooperieren mit allgemein bildenden Schulen und mit anderen
Bildungs- und Kultureinrichtungen…“

Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) setzt seit Jahrzehnten durch wissenschaftlich
fundierte fachliche Standards Maßstäbe für die Arbeit der Musikschulen. Im Rahmen eines
Rechtsstreits mit dem VdM hat die zuständige Senatsverwaltung erklärt, dass die 12
bezirklichen Musikschulen eine Berliner Musikschule bilden, die im VdM durch diese
Senatsverwaltung vertreten wird. Als Mitglied ist das Land Berlin somit den Lehrplänen und
Strukturempfehlungen des Verbandes deutscher Musikschulen verpflichtet.

Die weitere Profilierung der Stadt Berlin als Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsstandort ist
erklärter Wille der Politik. Die kommunalen Musikschulen sind wichtiger Bestandteil dieser
Landschaft. Die vergleichbare, fach- und sachgerechte Wahrnehmung der oben
beschriebenen Aufgaben durch die Berliner Musikschulen muss also im gesamtstädtischen
Interesse liegen. Um den langfristig, planmäßig und vernetzt angelegten Bildungsauftrag der
Musikschulen nachhaltig und verlässlich zu realisieren, sind Rahmenbedingungen
erforderlich, die in den Musikschulen eine effiziente Steuerbarkeit und die Wahrung der
Fachlichkeit gewährleisten.
Im gemäß Berliner Schulgesetz erstmals 2008 vorgelegten Qualitäts- und
Leistungsentwicklungsbericht wird das besondere Erfordernis einer gesamtstädtischen
Steuerung hervorgehoben. Bestätigt wird diese Forderung durch den Abschlussbericht der
Kommission zu den Berliner Volkshochschulen und Berliner Musikschulen.

Der Deutsche Städtetag, dessen Mitglied auch Berlin ist, beschloss 2010 Hinweise und
Leitlinien zur Musikschule. Diese Leitlinien sind Spiegel der wachsenden bildungspolitischen
Bedeutung von Musikschulen. Besonders herausgehoben werden die gemeinsame
Verantwortung von Staat, Kommunen und Musikschulen für eine zeitgemäße und
wissenschaftlichen Standards genügende musikalische Bildung und der Anspruch, durch
sozialverträgliche Angebotsstrukturen den chancengerechten Zugang zur Musikschule zu
sichern. Die Musikschulen werden gefordert, auf sich verändernde wirtschaftliche,
gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen zu reagieren und ihre Angebote
entsprechend auszurichten. Der Deutsche Städtetag stellt mit der achten Leitlinie in „Die
Musikschule – Leitlinien und Hinweise 2010“ fest, dass zur Erfüllung der Aufgaben einer
Musikschule ein bedarfsgerechtes Verhältnis zwischen hauptamtlich beschäftigtem Personal
und Honorarkräften an Musikschulen notwendig ist.

Im pädagogischen Bereich der Berliner Musikschulen werden derzeit, anders als im übrigen
Bundesgebiet, mit mehr als 85 % aller Musikschullehrkräfte fast ausschließlich Honorarkräfte
auf Basis von Dienstverträgen beschäftigt. Indem diese Honorarkräfte regelmäßig Unterricht
erteilen, nehmen sie Aufgaben wahr, die regelmäßig in einer Musikschule wahrzunehmen
sind.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf wurde durch die
Deutsche Rentenversicherung festgestellt, dass in der Musikschule diverse
arbeitnehmerähnliche Selbständige beschäftigt sind, die nach Prüfung der Gegebenheiten zu
den abhängig Beschäftigten zu zählen sind (rechtskräftiger Bescheid der DRV vom
10.03.2011). Demnach wären die als arbeitsnehmerähnliche freie Mitarbeiter/innen tätigen
Musikschullehrkräfte scheinselbständig. Diese für den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf
getroffenen Feststellungen gelten laut Bescheid für alle Musikschulen des Landes Berlin. In
der Folge könnte es an allen Berliner Musikschulen zur Feststellung von
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen kommen.
Auf Grund dieser Sachlage plant die zuständige Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft
und Forschung die Neuregelung der Ausführungsvorschriften über die Honorare an den
Berliner Musikschulen. Dem Musikschulbeirat liegt der Entwurf neuer
Ausführungsvorschriften Honorare (AV Honorare) mit Stand 09/2011 zur Beratung vor. Der
Musikschulbeirat empfiehlt, die von der LAG erarbeiteten Änderungsvorschläge zum Entwurf
AV Honorare wegen der beruflichen Erfahrung und fachlichen Zuständigkeit der in der LAG
vertretenen Musikschulleitungen unbedingt zu prüfen und zu berücksichtigen.

Mit der Neuregelung durch die vorliegenden Ausführungsvorschriften Honorare beabsichtigt
die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, den Bezirken
Rechtssicherheit zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit bei freien Mitarbeiter/innen in
den Musikschulen zu geben und gleichzeitig eine Schlechterstellung dieses Personenkreises
zu vermeiden. Mit diesem Ziel soll der Status der nicht fest angestellten Lehrkräfte als freie
Mitarbeiter/innen abgesichert werden. Eine solche Statusabsicherung würde erfordern, dass
die freien Mitarbeiter/innen völlig außerhalb der Institution Musikschule stehen müssten,
indem jede Weisungsgebundenheit und jede Eingliederung in die Organisation zu vermeiden
sind. Die freien Mitarbeiter/innen einer solchen Musikschule, die sich z.B. nicht mehr
öffentlich als der Musikschule zugehörig erklären dürften, würden nunmehr umfassend
ausgegrenzt.
Eine Rechtssicherheit ist mit den neuen AV Honorare nicht gegeben. Es sollen lediglich alte
Umgehungstatbestände zur Vermeidung erforderlicher Festanstellungen durch neue ersetzt
werden.

Angesichts von Beispielen aus anderen Bundesländern, wo einerseits Nachzahlungen von
SV-Beiträgen in Millionenhöhe im Raum stehen und andererseits erfolgreich Statusklagen
vor Arbeitsgerichten geführt wurden (Süddeutsche Zeitung vom 29.09.2011), erscheint es
unrealistisch, dass die angestrebte Rechtssicherheit überhaupt herstellbar ist.

Die geplante Untermauerung der bestehenden Beschäftigungsstrukturen mit neuen
Ausführungsvorschriften über die Honorare ist nicht geeignet, den gesetzlichen Bildungsund
Kulturauftrag an den Musikschulen verlässlich und nachhaltig umzusetzen. Ein rechtlichorganisatorischer
Rahmen, der den strukturellen und fachlichen Anforderungen der
Musikschulen entspricht, wird nicht gegeben. Der Einsatz von beinahe ausschließlich
Selbstständigen als Musikschullehrkräfte steht im Widerspruch zu zahlreichen durch die
Musikschulen wahrzunehmenden Aufgaben, die eine Eingliederung in den Betrieb bzw.
Weisungsgebundenheit erfordern. Offensichtlich ist dies in den Bereichen Kooperationen mit
allgemein bildenden Schulen oder studienvorbereitende Ausbildung als berufsvorbereitende
Maßnahme. Besondere Brisanz entwickelt der rechtlich bedenkliche Einsatz von
Honorarkräften im Rahmen der Kooperation mit Schulen. Die Musikschulen sind bei der
inhaltlichen Ausgestaltung der Ganztagsschulen originäre Bildungspartnerinnen der
allgemein bildenden Schulen. Das vernetzte Arbeiten aller beteiligten Lehrkräfte auf
Augenhöhe ist dabei erforderlich und eine Eingliederung in die Organisation meistens
unumgänglich. Dies schließt den Einsatz freier Mitarbeiter/innen weitestgehend aus, was die
Einlösbarkeit der bildungspolitisch wichtigen Kooperationsaufgabe eklatant gefährdet. Aber
auch in anderen Bereichen führt die konsequente Ausgliederung der freien Mitarbeiter/innen
zu Einschränkungen im Leistungsspektrum, gefährdet den öffentlichen Bildungsauftrag und
degradiert die kommunalen Musikschulen Berlins zu privaten Schülervermittlungsinstituten.
Sie steht notwendigen Voraussetzungen gelingender Musikschularbeit wie Identifikation,
Teamwork, Synergie, Weiterbildungsbereitschaft u.v.a.m. diametral entgegen.

Auf Grundlage der geltenden Honorarregelungen werden die als freie Mitarbeiter/innen an
den Berliner Musikschulen beschäftigten Lehrkräfte als im öffentlichen Sektor beschäftigte
Hochschulabsolventen zu Geringverdienern. Als Geringverdiener gelten laut OECD
Arbeitnehmer, deren Einkommen 67 Prozent des angenommenen Durchschnittslohns von
41.750 Euro pro Jahr entspricht, also rund 28.000 Euro (Quelle: „Die Welt“ vom 12. Mai
2011). An den Berliner kommunalen Musikschulen wird für arbeitnehmerähnliche Personen
bei einer wöchentlichen Auslastung mit 30 Unterrichtsstunden à 45 Minuten ein
Jahreshonorar in Höhe von rund 25.000 Euro gezahlt (vor Steuern und
Sozialversicherungsbeiträgen).
Dieses System der Beschäftigungsverhältnisse wurde durch das Land Berlin stets, auch
entgegen anderer fachlicher Beratung, als das geeignete System erachtet und entsprechend
mit Ausführungsvorschriften untersetzt. Damit ist ein prekärer Bildungsmarkt institutionalisiert
worden. Die im vorliegenden Entwurf AV Honorare vorgesehenen Honorarsätze würden an
dieser Tatsache nichts ändern.
Positiv hervorzuheben ist, dass erstmals die Honorierung für Tätigkeiten bei Veranstaltungen
und Prüfungen sowie für sonstige Tätigkeiten geregelt werden soll. Jedoch bewegen sich
die Honorarsätze für die Durchführung von Prüfungen sowie für die Ausübung sonstiger
Tätigkeiten (Entwurf AV, Anlage 1, Punkte 4 und 5) auf Mindestlohnniveau. Dies ist
keinesfalls vertretbar.

Die betroffenen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Musikschulen fühlen sich
durch die laufenden Bestrebungen zu ihrer Ausgliederung und Verselbständigung zutiefst in
ihrem Berufsethos getroffen. Die Mehrzahl dieser Lehrkräfte ist langjährig an den
Musikschulen tätig und generiert die berufliche Motivation für ihre tägliche künstlerischpädagogische
Arbeit an der Musikschule zu großen Teilen aus der Identifikation mit eben
dieser Institution. Nun droht eine Abwanderung gerade der besonders qualifizierten
Lehrkräfte.

Die Musikschulen sind ein wesentlicher Bestandteil der Berliner Bildungslandschaft und
müssen integraler Bestandteil des staatlichen Bildungssystems sein. Die oben
beschriebenen gesetzlichen Aufgaben der Musikschulen müssen in Breite, Vielfalt und
fachlichen Anforderungen nachhaltig, verlässlich und chancengerecht erledigt werden. Es
liegt in staatlicher Verantwortung, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen und
die kommunalen Musikschulen in geeigneter Weise aufzustellen. Dieser Entwurf der AV
Honorare ist dafür nicht das richtige Instrument.
Die Senatsverwaltung wird mit dem vorliegenden Vorschlag einer AV Honorare ihrer
Verantwortung für die kommunalen Musikschulen nicht gerecht. Daher kann es sich bei der
AV Honorare nur um eine kurzfristige Übergangslösung handeln. Bereits der derzeitige
strukturelle Zustand der Musikschulen ist, ebenso wie der angestrebte, rechtlich und
bildungspolitisch höchst problematisch und muss durch zukunftsfähige und
aufgabenadäquate Strukturen ersetzt werden.

Mindestens mittelfristig ist eine grundsätzliche Neuaufstellung der Berliner
Musikschulstrukturen erforderlich.
Der Musikschulbeirat schlägt vor, gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung nach zukunftsfähigen und aufgabengerechten Lösungen zu
suchen und ein Strukturmodell für die Berliner Musikschulen zu erarbeiten.
Geeignete Beschäftigungsstrukturen müssen Bestandteil eines solchen Zukunftsmodells
sein. Das bedeutet unter anderem, dass in aufgabengerechtem Umfang
weisungsgebundenes Fachpersonal eingesetzt werden muss. Für den künftigen Einsatz
freier Mitarbeiter/innen sind einheitliche verbindliche Rechtsgrundlagen im Sinne eines
Tarifvertrages erforderlich. Dazu zählt ganz wesentlich, und zwar sowohl für angestellte
Lehrkräfte als auch für freie Mitarbeiter/innen, die Vergütung auf Grundlage der
Gleichstellung der musikpädagogischen mit wissenschaftlichen Hochschulabschlüssen. Der
Ausgleich des entstehenden finanziellen Mehraufwandes liegt in der bildungspolitischen
Verantwortung des Landes Berlin.

Hinsichtlich der Übergangslösung wird die Senatsverwaltung dringend aufgefordert, eine
verbindliche gesamtstädtische Regelung zu treffen, die einerseits den Bezirken
Rechtssicherheit zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit bei freien Mitarbeiter/innen gibt
und zugleich zu keiner Schlechterstellung der freien Mitarbeiter/innen führt. Verbindlich fest
zu schreiben ist dabei unter anderem auch, dass den als freie Mitarbeiter/innen tätigen
Lehrkräften weiterhin Räumlichkeiten und Instrumentarium der Musikschule kostenlos zur
Durchführung des Musikschulunterrichts zur Verfügung gestellt werden können. Ein für alle
Bezirke verbindlicher und rechtssicherer Honorarvertrag muss ebenfalls Teil dieser Regelung
sein.


Mo 19. Mär 2012, 00:46

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