Berliner Musikschulforum

Eine Informationsplattform zur Situation der Berliner bezirklichen Musikschulen

LAG MS: Landesarbeitsgem. Berliner MS-Leitungen (09/11)




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LAG MS: Landesarbeitsgem. Berliner MS-Leitungen (09/11)

Beitragvon ucm » So 18. Mär 2012, 21:54

Memorandum zur Lage der Berliner Musikschulen 2011
verabschiedet anlässlich der Jahresklausur am 09.09.2011 in Neustrelitz


VORBEMERKUNG
Es gibt - bezogen auf Struktur und Organisation der Berliner Musikschulen - einige Fragen, die, obwohl (oder gerade weil?) von größter Tragweite, seit weit über 20 Jahren weder hinreichend beleuchtet noch gar einer eindeutigen Klärung zugeführt wurden.

Die meisten der jetzt aufgeworfenen Fragestellungen resultieren aus der besonderen historischen, politischen und darauf bezogenen strukturellen Situation Berlins. Sowohl im Ost- als auch im Westteil der Stadt galten bis zur Wiedervereinigung besondere Bedingungen. War die Insellage Westberlins eine Ausnahmesituation, die viele Provisorien und Improvisationen politisch gewollt und damit tolerabel machten, wurde die Musikschulsituation im Ostteil der Stadt politisch als Garant einer Bildungs- und Kulturpolitik gesehen, die auch die Hauptstadt der DDR zu repräsentieren hatte.

Gegensätzlicher könnten Auftrag, Selbstbild und Selbstverständnis von Einrichtungen kaum aufeinander treffen, als es hier in Berlin 1990 innerhalb einer Stadt geschah. Ein Anfang der 90er-Jahre gescheiterter Versuch der Senatsverwaltung zur Zentralisierung des Musikschulwesens in Berlin beherrscht seither die Gespräche als „no-go-area“. Interessenskonflikte zwischen gesamtstädtischer Steuerung und bezirklicher Entscheidungshoheit bestehen bis heute fort. Diese Gemengelage erschwert eine ergebnisorientierte Debatte über Chancen und Risiken verstärkter gesamtstädtischer Steuerung, die aber dringend angezeigt erscheint, wie es auch der Kommissionsbericht – erarbeitet zwischen Senatsverwaltung und Bezirken – ausweist.
Die Landesarbeitsgemeinschaft der Musikschulleiter/innen Berlins erwartet von der Senatsverwaltung
Ausführungsvorschriften, die auf die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen klare Antworten geben. Es kann nicht sein, dass für landeseinheitliche Risiken nach bezirklichen Lösungen gesucht wird.
Zur Diskussion stehen derzeit nicht Klärungen von Einzelfällen sondern grundlegende Weichenstellungen, die in den Aufgabenbereich der gesamtstädtischen Steuerung fallen und die es so erst verantwortbar machen, in ein öffentlich vorgehaltenes Musikschulwesen zu investieren.

DIE AUSGANGSLAGE

Auslöser für eine Störung der bisherigen Verhältnisse ist ein mittlerweile rechtskräftig gewordener Bescheid der Deutschen Rentenversicherung an den Bezirk Marzahn-Hellersdorf zum Thema Scheinselbständigkeit der dortigen Musikschullehrer. Darin wird festgestellt, dass es sich bei der Tätigkeit der arbeitnehmerähnlichen Lehrkräfte um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse handelt.
Weil diese Feststellung in ihrer Konsequenz für alle Musikschulen Berlins gleichermaßen gesehen wird, wurde der Bezirk aufgefordert, die zuständigen Stellen des Senats einzubeziehen. Diese überarbeiten z.Z. die Rahmenvorschriften für die Musikschularbeit im Land Berlin. Gemäß Einlassungen gegenüber der Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg hat der Senat unmissverständlich erklärt, die an den Musikschulen beschäftigten Honorarkräfte verstärkt als „unternehmerisch tätige Personen“ zu behandeln. Nach Aussage von ver.di ist Berlin damit das einzige Bundesland, das sein pädagogisches Personal grundsätzlich nicht festanstellt.

DIE BEDARFSLAGE AUS FACHLICHER SICHT

Die Landesarbeitsgemeinschaft ist der Auffassung, dass unter Qualitätsgesichtspunkten die Vertragssituation in eine ganz andere Richtung geführt werden muss. Die pädagogische Arbeit an den Musikschulen erfordert eine weit intensivere Einbindung der Lehrkräfte in den Betrieb als das bisher zugestanden ist. Die Landesarbeitsgemeinschaft erwartet von der Senatsverwaltung Ausführungsvorschriften, die die grundlegenden Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Ein Instrument zu erlernen, erfordert von Lehrern wie Schülern regelmäßige Arbeit über Jahre hinweg. Die Musikschule muss Lehrkräfte verpflichten, die bereit und in der Lage sind, eine solche auf Jahre angelegte Arbeit zu planen und gewissenhaft zu begleiten. Insofern handelt es sich – mit Ausnahmen – eben nicht um eine von vornherein zeitlich und sachlich beschränkte Lehrverpflichtung. Eine fachlich fundierte Arbeit kann nicht gelingen in einem Vertragsdesign, das den Unterricht befristet, die wöchentliche Unterrichtsstunde Tag für Tag in Zweifel stellt, und den Lehrkräften nicht die gewissenhafte Einhaltung ihrer Stundenpläne abverlangt. Für die Schüler ist es eine Einladung zur Unregelmäßigkeit. Für die Lehrkräfte, die terminlich in die Zange genommen werden zwischen Ganztagsschule einerseits und Hausmeisterregelungen andererseits, ist es die Verpflichtung, ihre Stundenpläne immer neu zu stricken und Unterrichtstermine zu verlegen. Musikschulen brauchen andere Arbeitsbedingungen.

    • Das ist unübersehbar in der Kooperation der Musikschule mit der allgemein bildenden Schule. Die Lehrkräfte können ihre Arbeit nur dann richtig einbringen, wenn sie mit der der übrigen Lehrkräfte vernetzt sind. Gerade dort, wo fachfremd Musikunterricht erteilt wird, bieten Modelle des Team-Teaching, wie sie in senatsgeförderten Fortbildungen eingeübt werden, große Chancen zum wechselseitigen Lernen und vor allem zur Nachhaltigkeit der Arbeit – eben weil die beteiligten Grundschullehrer die entsprechenden Elemente in ihren regelmäßigen Unterricht einbeziehen können. Und die musikalische Arbeit mündet in gemeinsame Projekte, Schulfeste, Konzerte u.a., für die ein gutes Zusammenwirken grundlegend ist.
    • In der elementaren Musikpädagogik machen die Musikschulen Angebote, die nur in Zusammenarbeit der Kollegen untereinander erfolgreich umgesetzt werden können, z.B. in den Instrumentenkarussells. Dazu lässt sich die Arbeit kaum auf die Vorbereitung und Erteilung von Unterrichtsstunden begrenzen, weil eine Fülle auch organisatorischer Aufgaben die pädagogische Arbeit begleitet.
    • Eine gute Orchesterarbeit gelingt nur auf der Basis eines intensiven Zusammenwirkens vieler Instrumentallehrer und in Strukturen, die mit Vororchestern und verschiedenen Orchesterstufen eine langjährige gemeinsame Aufbauarbeit leisten.
    • Die Studienvorbereitenden Abteilungen sind ein Ort, wo sich mehrere Kollegen gemeinsam über die Entwicklung der Schüler beraten, sich Ziele für die nächsten Arbeitsphasen setzen, gemeinsam Prüfungen abnehmen und Konzerte durchführen.
    • Die Musikschulen entwickeln eine Fülle neuer Projekte, um sich neuen Aufgaben zu stellen, oft mit neuen Kooperationspartnern, und immer in der Anforderung, gemeinsam mit anderen Lehrkräften neue pädagogische Konzepte zu entwickeln.

QUALITÄTSANFORDERUNGEN – FESTLEGUNGEN DES LANDES BERLIN
Das Schulgesetz des Landes Berlin (§ 124) misst zu Recht der Qualitätsentwicklung der Musikschulen einen hohen Stellenwert zu. „Zur Sicherung der Qualität ihres Bildungsangebots sind die Musikschulen verpflichtet, geeignete Verfahren der Qualitätssicherung einschließlich regelmäßiger Selbstevaluationen durchzuführen und die ständige Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen.“ Dem entsprechend haben die Musikschulen Qualitätsindikatoren aufgestellt, in denen unter anderem die Fortbildungsbereitschaft der Lehrkräfte betrachtet wird. Dies wird nunmehr seitens der Senatsverwaltung für statusrechtlich bedenklich
gehalten. Daraufhin hat nun auch der Rat der Bürgermeister verlangt, diesen Indikator zunächst nicht
anzuwenden.
Das Land Berlin hat in Übereinstimmung mit den zwölf Bezirken das Qualitätsmanagement „QsM“ für die
Musikschulen eingeführt. Das verlangt von den Einrichtungen in einem seiner 9 Kriterien Mitarbeiterorientierung“: „Es gibt Konferenzen, in denen die Planungen der Musikschule mit allen Mitarbeitern diskutiert und Anregungen aufgenommen werden.“ Dem entsprechend lautet ein Qualitätsindikator Planungsmitwirkung, mit dem die Beteiligung der Lehrkräfte an Konferenzen betrachtet wird. Auch dieser Indikator soll nach der Kenntnisnahme eines Prüfungsbescheides der Deutschen Rentenversicherung nicht mehr angewendet werden.
Die Richtlinien des Fachverbandes der deutschen Musikschulen VdM, die am 19.05.2011 mit den Stimmen Berlins beschlossen wurden, fordern: „C 4: Für den Unterricht sind die Rahmenlehrpläne des VdM verbindlich.“ Dem steht die arbeitsrechtliche Befürchtung entgegen, die Verpflichtung auf verbindliche Lehrpläne stelle höchstwahrscheinlich eine unzulässige Einbindung in den Betrieb dar.
Weiter verlangen die VdM-Richtlinien von ihren Verbandsmusikschulen: „C 7: Das Anstellungsverhältnis der Lehrkräfte soll aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages als sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis ausgestaltet sein.“ Die Vertragsentwicklung geht genau in die entgegengesetzte Richtung.
Das Schulgesetz regelt: „Die Musikschulen kooperieren mit den allgemeinbildenden Schulen und mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen.“ Mit der Aufnahme dieses Passus in das Gesetz ist das Arbeitsfeld nicht mehr Option sondern Verpflichtung. Es entstehen aber Friktionen zwischen sinnvoller Auftragserfüllung und notwendiger Rechtssicherheit, z.B. Selbstbestimmung hinsichtlich Ort und Zeit der Dienstleistung, Aufsichtspflichten etc. (s. auch unter BEDARFSLAGE). Legt man den Prüfbericht der Deutschen Rentenversicherung zugrunde, bleibt für die Musikschulen kein Handlungsspielraum mehr, diesen Auftrag mit Freien Mitarbeitern zu erfüllen.
Insgesamt stellt sich für die politische Verantwortung für die Steuerung einer Bildungseinrichtung die Frage, inwieweit die öffentlich zu verantwortende Bildungs- und Erziehungsarbeit tatsächlich überwiegend in die Hände unternehmerisch selbständig tätiger Personen gelegt werden soll. Gemessen an den Qualitätsanforderungen, die an die Musikschulen gestellt werden, sehen sich die Musikschulen gewissermaßen vor der Aufgabe, ausgestattet mit Zirkeln Quadrate zu konstruieren.

HANDLUNGSOPTIONEN
Nicht jeder Unterricht verlangt für die qualitative Umsetzung das gleiche Maß an Einbindung in die Musikschule. Hier ist zu differenzieren. So wie auch der Prüfbericht der Deutschen Rentenversicherung Bedenken nur hinsichtlich der arbeitnehmerähnlichen Personen äußert - die allerdings einen großen Teil der Freien Mitarbeiter ausmachen.
Da es letztlich immer um die Einschätzung von Einzelfällen geht, sind bezirkliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Generell kann man davon ausgehen, dass in vier Bereichen ein besonderes Maß an abgestimmtem Planen und Handeln erforderlich ist, was entsprechend ein erhöhtes Maß an Einbindung in den Betrieb mit sich bringt:
    • in der Kooperation speziell mit den allgemeinbildenden Schulen.
    • in der elementaren Musikpädagogik
    • in der Orchesterarbeit und
    • in den Studienvorbereitenden Abteilungen
Damit sind allein die statusrechtlich zweifelhaft gewordenen Unterrichtsaufgaben bezeichnet, nicht die für die pädagogischen Leitungsaufgaben administrativ erforderlichen Fachbereichsleitungen, wie sie im Bericht der Strukturkommission beschrieben und beziffert wurden.
Zweifellos wirft eine andere Ausstattung der Musikschulen neue Fragen auf: Wie können die Kosten aufgebracht werden? Ist es möglich, den Beitrag des Landes, der Musikschulnutzer und den Output der
Musikschulen hierbei gleichermaßen zu berücksichtigen? Ist es möglich, einen Konsens über Entwicklungsstufen zur Neuorganisation des Berliner Musikschulwesens zu erzielen?
Mögen die juristischen Fachleute beurteilen, wie berechtigt die derzeitigen statusrechtlichen Befürchtungen sind. Aus unserer fachlichen Sicht können wir nur davor warnen, die pädagogische und künstlerische Qualität der Musikschulen aus solchen Befürchtungen preiszugeben. Die Musikschulen und ihre Lehrkräfte haben versucht, ungeachtet schwierigster Rahmenbedingungen vieles an guter Arbeit zu ermöglichen. Jetzt sind selbst diese Rahmenbedingungen in Frage gestellt.
Die Senatsverwaltung lehnt die Verantwortung ab und delegiert sie in die Bezirke, denen nichts anderes übrig bleiben wird, als restriktiv alle Risiken zu vermeiden. Der öffentliche Bildungsauftrag kann sich aber nicht darin erschöpfen, Risiken zu vermeiden, sondern muss nachhaltig, seriös und kompetent Zukunftsgestaltung verfolgen. Fachliche Bedenken und die fiskalischen Risiken müssen schonungslos benannt und in einem breiten Konsens aller handelnden Kräfte und unter Berücksichtigung der besonderen Berliner Strukturen (verglichen mit den Flächenländern) zu einem tragfähigen Konzept für die Berliner Musikschule entwickelt werden.
Deshalb fordern die Berliner Musikschulleiterinnen und –leiter, dass den vielen vorliegenden oder vorgelegten Papieren/Konzepten endlich konkrete Taten folgen:

„be Musikschule – be Berlin!“

LAG der Musikschulleiterinnen und –leiter
anlässlich ihrer Klausurtagung am 09.09.2011 in Neustrelitz

Quelle: http://www.berlin.de/imperia/md/content/bamitte/musikschule/110909_memorandumneustrelitz.pdf?start&ts=1318692581&file=110909_memorandumneustrelitz.pdf
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